Ich finde es putzig, Einträge zu lesen wie “Ich habe nichts zu verbergen”, “Was ich reinschreibe, ist harmlos” oder “Meine Mail und meine Handynummer sind ja nicht öffentlich”. Sehr viele Netzer des von diversen Sicherheitslücken Belästigungs– und Nazipostillenskandalen erschütterten Startups StudiVZ glauben, dass damit alles frisch und prima ist. Offensichtlich wissen sie nicht, wie Personalabteilungen (oder Human Ressources – HR) heute arbeiten.

HR-Abteilungen tragen massgeblich zum Erfolg oder Scheitern von Firmen bei. Nehmen wir mal an, da kommt so ein Typ daher, wird Manager, filmt dann Frauen in der U-Bahn und auf dem Klo, stellt das online, oder will Mitglied in einer Belästigungsgruppe werden und kassiert damit viel schlechte Presse, wie das gerade bei StudiVZ geschieht – das ist so ein Fall, wo die HR gnadenlos versagt hätte. Aber die harmlosen Daten der normalen Nutzer sind ja überhaupt nicht so bedrohlich, gell?

Nehmen wir mal an, eine Firma hat eine Stelle zu vergeben: Ein typischer guter Akademikerposten, verantwortlich für eine kleine Gruppe Mitarbeiter, mit erheblichem Einblick in Firmeninterna, zielstrebig, vorzeigbar, mit Aussicht auf schnellen Aufstieg in das mittlere Management, wenn die Leistung in den ersten ein, zwei Jahren stimmt, und die Person soll mindestens 10 Jahre in der Firma bleiben, Einkommen um die 4000 Euro. Es gehen dafür 150 Bewerbungen ein.

Und nun haben wir eine andere Firma, die zufälligerweise die Daten hat, die bei StudiVZ so offen rumstehen. Nichts gehackt, nichts explizit illegal gekauft, einfach das, was da ist, mit einem kleinen Prgramm letzte Woche abgegrast und gespeichert. Diese Firma erhält nun die Namen der Bewerber mit der Bitte, sich die Leute doch mal genauer anzuschauen und Empfehlungen abzugeben, wer von denen was taugt. Nehmen wir mal an, von den 150 Bewerbern sind 100 in deren Datenbank. Die Firma stellt sich nicht hin und sagt: Den einen einladen in die Endrunde und den anderen nicht. Was die machen, ist sehr viel feiner. Sie erstellen Charts und gewichten die Eigenschaften je nach Anforderung des Kunden. StudiVZ ist da eine wunderbare Grundlage, denn hier zeigt sich der künftige Arbeitnehmer, wie er wirklich ist – und das herauszufinden, ist ja eigentlich die Aufgabe der HR, nicht das abnicken der geschönten Vita, sondern zu eruieren, wer für die Anforderung die beste Leistung für den besten Preis erbringt. Spielen wir das mal anhand einiger Aspekte durch.

verantwortlich für eine kleine Gruppe Mitarbeiter: Stichwort Persönlichkeit und Menschenführung. Da geht es um so Sachen wie persönliche Integrität und Sozialkompetenz. Ganz schlecht: Absolut harmlose Daten wie die Mitgliedschaft in Gruppen, die eine gewisse Promiskuität vermuten lassen. Man will ja nicht, dass die Untergebenen belästigt werden. Absolut harmlose Daten wie 436 Freunde an 435 Unis – das sieht nicht gerade nach Teamfähigkeit aus. Absolut harmlose Daten wie die Mitgliedschaft in Gruppen, die eine gewisse Verantwortungslosigkeit erkennen lassen – wer mit Menschen auskommen will, diskriminiert nicht qua Gruppe Nichtraucher oder Vegetarier.

mit erheblichem Einblick in Firmeninterna: Stichwort Diskretion. Ganz schlecht: Absolut harmlose Daten wie öffentliche Debatten über Privates auf den Pinwänden anderer Leute. Absolut harmlose Daten wie die Veröffentlichung von Uniseminaren oder öffentliche Bewertung des Lehrpersonals. Absolut harmlose Daten wie Bilder, aus denen eine mögliche Erpressbarkeit abgeleitet werden kann – das fängt bereits mit 5 leeren Bierflaschen an. Absolut harmlose Daten wie die geschwätzige Mitgliedschaft in 50+ Gruppen. Absolut harmlose Daten wie überhaupt alles, was da steht und nicht zwingend in die Öffentlichkeit muss. Absolut harmlose Daten wie die Beschreibung des aktuellen Berufs des Studenten.

Zielstrebig: Das ist heute angeblich sowieso jeder, aber wie es wirklich ausschaut, kann man bei StudiVZ prima betrachten. Ganz schlecht kommen da absolut harmlose Daten wie 500 minutengenau dokumentierte Pinwandeinträge, die man idealerweise über die absolut harmlose Daten der besuchten Seminare als in eben diesen verfasst identifizieren kann – jaja, WLAN im Hörsaal ist die Pest. Oder absolut harmlose Daten wie mehr als 200 Freunde, die man sich als zielstrebiger Mensch eigentlich nicht leisten kann. Oder Freunde wie die Jungs aus der Zockergilde, mit denen man sich über ein Wochenende quaken austauscht. Überhaupt, ganz grosses Malus, so absolut harmlose Daten wie allein schon die Mitgliedchaft bei einem vertrödelten Laden wie StudiVZ.

vorzeigbar: Wirklich ganz ganz schlecht: Absolut harmlose Daten wie exakt 100% aller Partybilder bei StudiVZ, die so nett mit dem eigenen Profil verlinkt werden können. Absolut harmlose Daten wie gewisse Eigenheiten im Ausdruck, “Scheisse” Gosse abwärts, oder beliebte Ligaturen und Verschleifungen wie “ned” oder “LG” oder “GN8t”. Absolut harmlose Daten wie ein etwas krasser Musik- oder Literaturgeschmack.

mit Aussicht auf schnellen Aufstieg in das mittlere Management: Da ist Durchsetzungsfreude und Leistungsbereitschaft gefragt. Absolut harmlose Daten wie ganz viele unsinnige Gruppenmitgliedschaften qualifizieren dagegen leider bestenfalls zum Sachbearbeiterdasein. Und absolut harmlose Daten wie ein paar Flame Wars in Gruppen sind nicht wirklich die Kompetenz, die man da braucht; eher im Gegenteil.

wenn die Leistung in den ersten ein, zwei Jahren stimmt: Nun, die absolut harmlosen Daten in ihrer Gesamtheit geben ja ein prima Bild der aktuellen Lage wieder, da muss man eigentlich nur weiterdenken. Hm. Was war nochmal im Malle-Ordner zu sehen?

Person soll mindestens 10 Jahre in der Firma bleiben und natürlich volle Leistung bringen. Nicht irgendwie nach 3 Jahren mit erhöhtem Krankheitsfehlen die Firmenkasse belasten. Na, man kann es ja abschätzen. Dank absolut harmloser Daten wie Bildern vom Eimerrauchen, Whiskeykippen, und der Fluppe im Maul. Ein Raucher ist nun mal jedes Jahr 2-3000 Euro teurer als ein normaler Mitarbeiter, weniger leistungsfähiger, anfälliger, psychisch eher labil, braucht einen Raucherraum, insofern, bei absolut gleicher Qualifikation vielleicht doch eher den Nichtraucher?

Einkommen um die 4000 Euro. Oder auch nicht, denn wer durch seine absolut harmlosen Daten abfällt, wird vielleicht trotzdem genommen, weil die anderen auch abgefallen sind – aber dann eben nur mit 3500 Einstiegsgehalt. Wieso sollte die Firma für schlechtere Leistung mehr bezahlen?

Am Ende so einer Evaluation wird das Ganze in eine Liste mit allen Bewerbern umgearbeitet. Jeder hatte am Anfang 100 Punkte, für gute neue Erkenntnisse gibt es mehr, für schlechte dagegen Abzug. Leider, leider, leider ist es so, dass die guten Seiten meist schon in der Bewerbung stehen. Bleiben also die Abzüge. Je nach Bedeutung der Aspekte wird das gewichtet, und am Ende steht eine schöne, runde Zahl, die entscheidet, wer kommen darf und wer seine Unterlagen zurück bekommt. Dank all dieser absolut harmlosen Daten.

Ach, das ist nicht fair? Stimmt. es ist wirklich nicht fair. Aber so arbeiten Personalberater nun mal. Das spart den Firmen viel Geld, denn eine Niete im Management kann verdammt teuer werden. Da können Firmen ins Trudeln geraten. Da lohnt jeder genaue Blick, da ist man dankbar um jeden Hinweis. Das ist die Welt da draussen, Freunde der Blasmusik, mit Euren absolut harmlosen Daten.

Und jetzt geht Ihr morgen zu StudiVZ und schaltet ganz schnell Euer Profil auf Privat, gell? Super Idee. Leider nicht effektiv. Denn als HR schaue ich einfach, wer Eure Freunde sind. Es ist kein Problem, Eure Studienfreunde von den Freunden aus dem Gymnasium zu trennen. Dann kicke ich die Ausreisserprofile Eurer Freunde, also den Cousin in St. Gallen und die Ex von der Kunsthochschule raus, und dann sehe ich ziemlich klar, in welchem trüben, versoffenen Lehramtsumfeld Du sonst so rumhängst. Nein, das ist nicht fair, aber hey, ein HR-Mensch will auch essen und die Leasinggebühren für den Porsche bezahlen, er hat eben Deine absolut harmlosen Daten, und er macht, was er will. Und Du bekommst es noch nicht mal mit.

Aber dafür hast Du ja jetzt eine gute Zeit bei StudiVZ, die Bugs sind gefixed und für das Abgrasen braucht man jetzt Wochen statt Tagen, und illegal ist es auch, also, was soll schon passieren mit Dir und Deinen absolut vollkommen harmlosen Daten. Denn Du hast nichts zu verbergen. Was Du reinschreibst, ist harmlos. Und Deine Mail und Deine Handynummer sind ja nicht öffentlich. Klaro. Alles supi.

Gruschel (TM).