Es gehört zum unabänderlichen Schicksal der Grossen, dass manch Kleiner versucht, an seinem Schuh das Bein zu heben. In der Geschichtswissenschaft gehört daher die Quellenanalyse, die Erforschung derer, die Informationen, Gerüchte und Lügen niederschreiben, zu den zentralen Aufgaben des Forschens. Was einer schreibt, kann jeder lesen – aber zu erkennen, wer das ist und warum er das tut, ist schon weitaus schwerer.

Nun gibt es hier an der Blogbar mitunter den ein oder anderen Disput über ein sog. “Web2.0”, das manche hierzulande in der Nachfolge amerikanischer Vordenker – oder Vorpowerpointer, je nach Gusto – ebenfalls erkennen wollen. Ich mache aus meiner Meinung keinen Hehl, dass Web2.0 in etwa das ist, was wir in der Spätphase der New Economy unter dem Begriff “Next Economy” schon mal hatten. Web2.o ist alles, was sich gut an Google, Yahoo und Ebay verkaufen lässt, und noch nicht nachweislich gescheitert ist. Eine der Visionen von Web2.0 ist ein Netz, in dem der User, vereinfacht gesagt, als soziales Wesen mit anderen in Kontakt tritt und interagiert, und durch seine zugänglichen Informationen im Netz als reale Person erkennbar wird. Kann man glauben, sicher. Wenn ich mir aber aktuell diese Kommentare hier anschaue, habe ich den Eindruck, dass manche Web2.0-Vertreter die soziale Kompetenz eines Lynchmobs haben. Wobei ich natütlich zugeben muss, dass “social/sozial” erstmal ein wertneutraler Begriff ist, auch asoziales Verhalten ist ein soziales Phänomen.

Web2.o ist es auch, wenn aktuell einer derjenigen, die sich dafür engagieren, zu meiner Person ein wenig schmeichelshaftes Du-bist-Deutschland-Fake bei Flickr einstellen, mit dem hier bewusst nicht verlinkten und im Original zitierten Text:

Don Alphonso schreibt Bücher darüber, wie scheisse das Internet ist und wie dumm die, die damit hantieren und Kohle verdienen wollen.

Abgesehen davon, dass ich das Internet sehr schätze, kann ich sehr wohl differenzieren zwischen einem Startup, das in 6 Monaten nach Launch mit Millionengewinnen an die Börse will und einem Unternehmer, der im Netz eine ordentliche Dienstleistung abliefert und dafür ordentlich bezahlt wird. Wie auch immer, der Macher ist offensichtlich Web2.0 und hat die entsprechende Behauptung auch gleich getagged und gepoolt.

Nun bin ich ja auch nicht ganz unweb, wenngleich eher web0.92beta, und natürlich schaut man nach, wer der Typ eigentlich ist, wenn er schon das Beinchen hebt. Und damit zum oben angeschnittenen Problem der Analyse der berichtenden Person: Die betreffende Person ist ziemlich Web2.0. Sie lebt im Internet das, was im Bereich der Social Software mitunter als Ideal gesehen wird. Will sagen, die Informationen über ihn zum Interagieren muss man nicht suchen, sie fallen einem praktisch entgegen. Er hat ein Blog, das viel über seine Person verrät – etwa, dass er Web2.0 toll findet. Er hat einen Open-BC-Account, der seinen Lebenslauf verrät. Es ist ohne Probleme möglich, seinen Bildungsweg inclusive Note nachzuvollziehen, seinen Aufenthaltsort verrät er über Places, und dabei auch gleich die Firma, bei der er arbeitet, und ihre Adresse. Seine Bilder lädt er bei Flickr hoch, er hält voll drauf auf seine Bankkarte und die Gesichter anderer Leute, die er mitunter auch namentlich nennt, und er verrät sogar sein Kameramodell. Manche Bilder seiner Bekannten wären angesichts der Situation, nehme ich an, bei Bewerbungen nicht wirklich hilfreich. Wenn ich mir die Mühe machen würde, seiner von ihm veröffentlichten Beschreibung der Anfahrt zu seiner Haustür zu folgen, dann könnte ich zu ihm hinfahren und sagen:

Sag mal, gehtŽs noch? Im Prinzip kann es mir scheissegal sein, wie du mit deinen Daten umgehst, aber ich will verflucht sein, wenn das, was du da machst, die Zukunft werden soll. Ich habe die Schnauze gestrichen voll von all den Typen, die alles und jeden uploaden und vertaggen, selbst wenn es denen vielleicht egal ist. Und was bitte geht eigentlich in deinem Kopf ab, wenn du in einer Bar Leute knipst, das Bild in 1600 x 1200 Pixeln mit “Irgendwelche Typen” überschreibst und mit dem Tag “white trash”versiehst, und man angesichts des Datums und der Ortsbeschriebung erfährt, wann diese Personen wo waren? Mal ehrlich, kommst du dir nicht manchmal etwas krank vor? He? Bist du eine im Lokal installierte Scheissüberwachungskamera, oder was ist los? Was geht dich das überhaupt an? Was hat das im Netz verloren? Schon mal was von §13 GG gehört? Vom Recht am eigenen Bild?

Hast du mal drüber nachgedacht, dass manche Leute sowas wie eine Privatsphäre wollen? Dass es in Deutschland auch ein Recht darauf gibt, auch wenn es dir mit deinem ins Netz gepusteten Datenbestand offensichtlich egal ist? Dein ausgelebtes Web2.0 ist eine geile Sache für Data Miner, für die Überwachungsschweine, die wissen wollen, was du eigentlich am Arbeitsplatz machst, die müssen nur mal via Places schaun, wann du mit welcher Connection auf Arbeit warst und gleichzeitig bei Flickr einen Kommentar gelassen hast, geht prima ohne IP und Kamera im Büro. Dein Web2.0 gibt jedem, der will, die Möglichkeit, dein momentanes Ich in allen Facetten mit ein paar Clicks auf Festplatte zu schaufeln und nach Belieben zu verwenden, auch wenn es sie einen Dreck angeht, Stichwort Profiling. Kann sein, dass es dir egal ist, dass dich dolle Softwarespielzeuge mehr reizen als die olle Privatsphäre, aber ich kenne keinen Personaler, der deine Angaben nicht via Google checkt, und was da mitunter zu finden ist, ist nicht wirklich ein Ausweis an Zuverlässigkeit und Diskretion. Bilder einfach so rauspusten beispielsweise soll mitunter nicht wirklich beliebt sein. Allenfalls Diebe finden das toll: Wenn mal einer bei dir einbricht, weil er dank aktualisiertem Places weiss, dass du in der Arbeit und 40 Minuten vom Wohnort entfernt bist, von dem Wohnort, den du ins Netz stellst, du Hirni. Statt mit der komischen Software zu daddeln, zieh dir lieber mal ein paar Grunndlagen Persönlichkeitsrechte rein. Ne, ich verlinke dich nicht. Auch du hast ein Recht auf Privatsphäre, und ich hoffentlich Leser, die das auch respektieren.

Die anderen Web2.0-Freunde: Kann schon sein, dass manche Software ganz witzig ist. Kann auch sein, dass manches Projekt sein Geld wert ist. Aber die Kombination Blog, Flickr, Places, OpenBC und andere Spielzeuge sind, wenn man nicht verdammt aufpasst, zusammengenommen eine Dystopie, gegen die RFID, Biometrik und der grosse Lauschangriff ein kleiner Scheiss sind. Weil plötzlich jeder über sich und andere praktisch unbegrenzt Informationen verbreiten, verraten, und jenseits aller weiterer Einflussnahme abstellen kann. Flickr-Accounts haben kein Impressum, Blogger keinen Richter, der darüber entscheidet, ob belauscht oder observiert werden darf. Typen wie das obige Beispiel sind sicher noch eine kleine Minderheit und bleiben es hoffentlich auch. Aber wenn man schon von Web 2.0 spricht, dann sollten zumindest diejenigen, die es voranbringen, sich nicht mit anderer Leuten Rechten am eigenen Bild oder dem Urheberrecht aufführen wie zugekokste Halbaffen.

Sorry für die deutlichen Worte. Aber vielleicht denkt Ihr mal nach, was genau da eigentlich bei Web2.0, social Softwware und Personal Media passieren soll, und was das für die persönlichen Daten bedeutet. Ist ja schon schlimm genug, was man sich mit dem Blog, Gmail und Technorati so alles antun kann.