Das, was momantan bei Holtzbrinck passiert, kann man meines Erachtens nicht mehr mit wirtschaftlichen Ãœberlegungen erklären, sondern nur noch mit Mitteln der Psychopathologie. Psychopathologie, weil ich mir sicher bin, dass man blosse Vergesslichkeit bei der Verantwortlichen als Ursache für ihr Tun ausschliessen kann. Ich glaube, die wissen sehr wohl, was sie tun. Sie hoffen lediglich darauf, dass andere vergessen haben, was an “galoppierendem Wahnsinn der New Economy” (schönes Zitat Handelsblatt 2003) los war. Deshalb machen sie es jetzt genauso wieder, und finden erneut sog. “Medienvertreter”, die sie unterstützen. Dazu müssen sie noch nicht mal den Feiglingen der Zeit eine Meldung unterschieben. Auch Heise macht bereitwillig die Bei mit.

Unter dem Kürzel vdr schreibt jemand bei Heise von einer Web2.0-gespickten Pressemitteilung ab, als habe er das Recherchieren beim Bundesverband deutscher Pressesprecher gelernt. In einem sagenhaft kritiklosen Artikel macht der Holtzbrinck elab den Hof. Es geht um deren Gründung “Gutefrage.net”, ein Startup, in dem die Nutzer gegenseitig Fragen beantorten und damit Raum für Geschäftsmodelle wie Werbung schaffen. Das klassische “AAL-Prinzip”, Andere Arbeiten Lassen, das bei Heise so lieblich erklärt wird:

Wichtig ist Geschäftsführer Markus Wölflick, dass die Leute gute Antworten auf ihre Fragen bekommen und die Fragen interessant genug sind, dass sich auch andere Nutzer für sie interessieren. […] Anders als die anglophonen Schwester-Sites, bei denen Wölflick eher den Spaß-Gedanken im Vordergrund sieht, will er gutefrage.net als echten Ratgeber positionieren. Dass dabei der Community eine Zentrale Rolle zukommt, weiß auch der Geschäftsführer. Noch klappt das ganz gut, findet er. Die knapp 2300 Nutzer haben bisher etwa 10.000 Fragen gestellt und viele bereits beantwortet.

Alles supi Рwenn man brav die Antworten des Chefs abschreibt. Aber man k̦nnte man statt dessen auch darauf hinweisen, dass Gutefrage.net AGB hat, die zu akzeptieren man eigentlich niemandem ernsthaft anraten kann. Da steht zum Beispiel:

Soweit gutefrage.net für die Abmahnung durch Dritte Kosten entstehen, hat der Nutzer gutefrage.net hiervon freizustellen.

Ausserdem findet sich dort ein üblicherweise als Halsabschneiderparagraph benannter Abschnitt zum Urheberrecht, der eigentlich jedem Journalisten das Messer in der Tasche aufgehen lassen müsste. Tritt doch der unachtsame Schreiber, der das rechtliche Risiko tragen muss, kostenlos alles ab, was man so gemeinhin abtreten kann:

Der Nutzer räumt durch die Einstellung seiner Beiträge in die Datenbank von gutefrage.net folgende nicht ausschließlichen zeitlich und räumlich uneingeschränkten Nutzungs- und Verwertungsrecht ein:
a) Das Recht zur Einspeicherung des Beitrags in die Web-Sites von gutefrage.net;
b) Das Recht, den Beitrag der öffentlichkeit ganz oder teilweise, bearbeitet oder unbearbeitet zugänglich zu machen;
c) Das Recht, den Beitrag auf Abruf von Besuchern der Web-Sites hin zu vervielfältigen;
d) Das Recht, den Beitrag in Zusammenhang mit den Web-Sites von gutefrage.net auch in anderen Medien weiter zu verwerten, etwa auf CD-ROM, in Printversionen sowie auf allen anderen derzeit bekannten Verwertungsarten.
(4) Insbesondere ist gutefrage.net berechtigt, die Beiträge unter anderen Domainadressen öffentlich zugänglich zu machen, sowie diese im Rahmen von Druckwerken (Zeitschriften und Bücher) zu verwerten.

Auf Deutsch: Gutefrage.net kann mit den Inhalten machen, was immer sie wollen. Und das müsste einen halbwegs erfahrenen Journalisten eigentlich an die New Economy erinnern. Denn damals waren solche Bedingungen ebenso üblich und umstritten wie heute. Selbst Holtzbrinck hatte über ihre VC-Tochter mal eine zweistellige Millionenbeteiligung an so einer Firma. Die hiess Clickfish und ging 2002, vor fast auf den Tag genau 5 Jahren, unrühmlich pleite. Steht übrigens auch bei Heise. Und nun kommen wir zum versprochenen Fall der hypegetriebenen Wiederholungstäter. Clickfish hatte nämlich 2001 eine Tochter an den Start gebracht. Diese Tochter hiess Askforce. Und was tat Askforce.de?

Das neue Portal askforce.de bringt dem Nutzer zwei große Vorteile: Auf eine individuell gestellte Frage antworten ihm mehrere Experten in einem auf E-Mail gestützten Dialog. Der Fragende wählt die für ihn passende Antwort aus, bildet sich sein persönliches Urteil und kann alle Antworten nach einem Punktesystem bewerten. […] Alle gestellten Fragen und Antworten sind dauerhaft im Askforce-Wissenskatalog einsehbar.

Was nichts weniger bedeutet, als dass die tolle Web2.0-Gründung Gutefrage.net genau das gleiche macht wie das vor 5 Jahren im Downturn verschwundene New-Economy Hypemodell Askforce. Nur dass es diesmal für die Nutzer keine Webmiles als Belohnung gibt. Sondern gar nix, ausser vielleicht mal die Rechnung für eine Abmahnung.

Womit geklärt sein dürfte, was Web2.0 hier im Kern ist: Alte Scheisse, neu gequirlt. Nur Holtzbrinck, die sind immer noch die gleichen. Und die Journaille schreibt weiter ab. Obwohl es mit 4 banalen Googleabfragen recherchierbar ist.

Disclaimer: Ich bin eingeladen bei einer Lesung der Holtzbrincktochter Handelsblatt, aber wie man sieht, es gilt weiterhin: Keine Gnade für niemand.