Ich habe in den letzten Monaten das Interesse an Metabloggerei verloren, was meine längere Abwesenheit auf blogbar erklärt. Wenn ich aber lese wie die PR-Agentur “Edelman” nun mit einem hanebüchenen Ranking der Blogosphäre versucht, sich zu profilieren, dann läuft mir die Galle über und es treibt mich an die Tastatur.

Edelman und Technorati haben in Kooperation versucht, qualitative und quantitative Zahlen zu der englischsprachigen, französischsprachigen, italienischsprachigen und deutschsprachigen Blogosphäre zu ermitteln. Basis sind dabei die Zahlen von Technorati. Gestern wurden die Zahlen international vorgestellt.

Cornelia Kunze, CEO Edelman Deutschland, darf im media coffee blog die deutschen Zahlen erläutern. Für die street-credible Begleitung sorgt Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach in seinem Blog “Haltungsturner” ([1], [2]).

Um es vorwegzunehmen: die Zahlen sind eine Lachnummer und so schlampig recherchiert, das man sich unwillkürlich fragt, wie es um das sonstige Qualitätsverständnis im Hause Edelman bestellt ist.

Die Probleme fangen schon mit dem Basiszahlenmaterial an: wer etwas mehr als Spurenelemente Verständnis für die Funktionsweise der Blogosphäre hat, weiß das Technorati nicht mehr ist, als ein Spaßtool, Suchmaschine oder ein “es gibt halt nix anderes”-Werkzeug, aber niemals die Basis für ernsthafte statistische Arbeiten sein darf.

Der Popkulturjunkie (Jens) macht sich seit Monaten die Mühe und stellt auf Basis der Technoratizahl “verlinkende Blog” eine Art Hitparade zusammen: “Deutschen Blogcharts“. Im Laufe der Zeit sind Jens zahlreiche Ungereimtheiten in den Datenbanken von Technorati aufgefallen, die er versucht händisch aus den Charts auszusortieren.

Prototypisch die hohe Verlinkung von zeitgrund.de. Als einer vom deutschen Team der Blogsoftware WordPress ist sein Blog in der Default-Einstellung der Software erst einmal automatisch verlinkt. Sein hoher Rang (Platz 3 in den deutschsprachigen Blogs) ist also eher ein Zeichen für die Popularität von WordPress, der Faulheit der deutschen WordPress-User, aber mit Sicherheit kein Zeichen des “Einflußes” auf die Blogosphäre, dem eigentlichen Ziel des Rankings, nicht wahr, Frau Kunze?

Gemeinsam mit unserem Partner Technorati hat unser internationales Blogging-Team in den letzten Wochen nun auch (nach den USA und UK) die einflussreichsten Blogs in Deutschland, Frankreich und Italien zusammengestellt.

Mehr über die Problematik der Technorati-Zahlen kann man im begleitenden Blog der Blogcharts lesen oder auch zusammengefasst im neuen Eintrag beim Popkulturjunkie.

Dass die publizierten Grafiken (JPG, 225kb) vor Fehler strotzen, geschenkt. Die Diskussion inwieweit das BILDblog mangels Kommentarfunktion wirklich ein Blog ist, dürfte noch drei bis vier weitere Generationen entzweien.

Ärgerlich ist aber, dass die Zahlen publiziert worden sind, ohne das jemand nachgearbeitet hätte oder mit Verstand die Sache noch einmal überflogen hat. Mir sind binnen 10 Minuten beim Austesten meiner Blogroll schon sechs, zum Teil sehr bekannte Blogs aufgefallen, die gar nicht in der Liste vorhanden sind: argh.de
hebig.com, hebig.org, elle (journelle.com), Franziskript, Treehuggin Pussy.

Wer von sich in Selbst-PR behauptet, die “einflußreichsten” deutschsprachigen Blogs zusammengetragen zu haben, muss sich nach seiner Kompetenz fragen lassen, wenn er die Nummer 36 argh.de unterschlägt oder Heiko Hebig, immerhin beim Burda-Verlag als eine Art Blogberater angeheuert, vergisst. Der Popkulturjunkie hat 34 “vergessene” Blogs in den Top 100 gezählt.

34 bei 100!

Schlampigkeiten und Fehler können passieren und auch Edelman hat das Recht eine Liste als “Alpha-Version” zu veröffentlichen.

Aber da kommt dann etwas anderes im Spiel, was nun bei mir Würgreize verursacht: wie die Sache von Edelman verkauft wird.

Im Edelman-Hinterhof sorgt Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach auf Haltungsturner für die relativierenden Worte für das wissende Publikum (“das Ziel der jetzt in einer ersten Version zur Diskussion gestellten Listen ist, mittelfristig ein ähnliches “automatisiertes” Ranking für die einzelnen Sprachen zu haben“).

Auf der deutschen Front-Seite begnügt sich CEOeuse Kunze sich mit dem Wort “Schnappschuss” als semantischen Notausgang, auf den man sich zurückziehen kann, falls man eingestehen muss, dass die Ergebnisse statistisches Gammelfleisch sind, um danach 11 Absätze lang über Erkenntnisse aus dem Gammelfleisch zu schwadronieren.

An der internationalen Front reicht Steven Rubel der große Gestus mit dem die Zahlen hingeworfen werden, ungetrübt von jedweder Relation. Etwas später, mit getrenntem Posting und nicht sichtbar im Haupteintrag mit dem Zahlen, rollt dann auch der Rubel seine Rhetorikschleifchen: “And That’s Why It’s Called “a Beta”“. Und wenn Rubel oder Edelman irgendwo dick und fett über die Zahlen und Erkenntnisse “Beta” (richtiger: “Alpha”) hingeschrieben hätte, würde man es sogar glauben.

Nein, stattdessen wurde die PR-Maschine angeschmissen, die Zahlen hinausgebrüllt, keinerlei Transparenz im Prozedere der Zahlendarstellung getätigt. Man läuft von Kongress zu Kongress, von Symposium zum Meeting und versucht mit so etwas Kompetenz zu zeigen und Consulting zu verkaufen.

Die Relativierungen gibt es dann für Suchende im Kleingedruckten beim Haltungsturner: “Das Ranking ist, anders als bei Jens Blogcharts nicht noch einmal nachbearbeitet,” (link), “Das, was ich bisher an Kritik gelesen habe, ist berechtigt und wird von mir berücksichtigt, wenn wir in die Tiefe gehen werden und die Plausibilität überprüfen.” (link)

Mit dem Handling dieses Zahlenmaterial hat sich Edelman erst einmal aus jedweder Glaubwürdigkeit verabschiedet. Einladungen zum Diskutieren sehen anders aus, als einfach die Zahlen rauszublasen und alle Vorarbeiten (Deutscheblogcharts) zu ignorieren. Da helfen auch keine “Bad Cop – Good Cop”-Spielchen zwischen Edelman-Front End und Haltungsturner-Back End.

(Wo sind meine blutdruckhemmenden Pillen?)