Disclaimer: Es gibt Beiträge, da denkt man, lass es, da kommen nur wieder die alten Säcke von damals und kriegen sich nicht ein. Damals, als die Blogosphäre noch klein war, sehr klein… aber andererseits, was sollŽs, zum Teufel damit.

Auf Podien wird immer wieder gefragt, warum das Bloggen in Deutschland nicht richtig zündet, warum die USA, Frankreich und sogar Länder wie Polen so viel mehr Blogger haben. Dazu werden dann noch Zahlen durch den raum geworfen, die ich persönlich gar nicht mal glaube; alles was irgendwie 6-stellig ist, zählt vermutlich alle Blogleichen mit, und die machen sicher weit mehr als die Hälfte der deutschen Blogs aus. Allein, was ich zu Testzwecken alles angelegt habe – alles noch da, kaum zu glauben. Wie auch immer: Selbst 100.000 mindestens wöchentlich aktualisierte Blogs sind so viel, dass heute niemand mehr einen Ãœberblick hat, was da existiert. Man sucht sich ein paar Blogs raus, die man regelmässig liest, findet ab und zu ein paar andere, und das warŽs dann. Die Blogosphäre ist schon jetzt so gross, dass man tagelang durch Blogrolls streifen kann, ohne auch nur eines der sog. “bekannteren Blogs” zu entdecken. So spielen etwa die in der öffentlichen Diskussion stehenden Blogs bei Hostern wie Myblog.de absolut keine Rolle, und ganze Szenen hängen fast hermetisch abgeschlossen in diesem Raum.

Dieses enorme absolute Wachstum in Deutschland – ich schätze es auf eine Verdoppelung alle 6 bis 9 Monate – hat allerdings relativ gesehen nicht die gleichen Folgen in den Leserzahlen bei denen, die schon länger bloggen. Weder wächst die Verlinkung in der Regel so stark an, noch die Leserzahlen. Soweit man auf Counter zugreifen kann, geht es auch bei älteren Blogs meist stetig bergauf, aber es sieht so aus, als ob sich die neuen Blogger nicht zwingend an den alten orientieren würden, sondern sich vielmehr eigene Linksphären schaffen. Natürlich verschwinden alte A-Lister nicht von heute auf morgen im Meer der anderen Blogs, aber angesichts der Gesamtgrösse nimmt die Bedeutung der einzelnen stark ab.

Beispiel: Als wir das Buch gemacht haben, vor etwa 2 Jahren, kannte jeder einen gewissen “Schockwellenreiter”, eine “Melody” und einen “Moe”. Fragt man heute bei jüngeren Bloggern rum, sind denen diese Namen nicht mehr bekannt, oder sie haben vielleicht mal was von gehört. Lesen tut das keiner. Gelesen wird das Bildblog, und dann vielleicht noch der Spreeblick, und danach kommen oft Namen, bei denen auch ich erst mal fragen muss, wer oder was das ist. Für die alten “Alphatiere”, die früher vergleichsweise leicht in der Blogosphäre “die Themen” setzen konnten, bedeutet das eine starke Einschränkung von Einfluss. Eine ganze Reihe von Blogautoren, die früher allgemein Beachtung fanden, wursteln heute in “irgendeiner Ecke”, um das mal mit den Worten eines dieser damaligen Meinungsführer, der mit anderen damaligen “Grossen” vernetzt war, zu sagen. Die Themen werden heute nicht mehr von Leuten gesetzt, sondern durch ihre Relevanz, und sicher auch den Zufall, ohne den es in diesem unübersichtlichen Netzwerk nicht geht. Das chaotische, plutalistische, selbst eregulierende Antikollektiv hat die Diven, die Vorreiter, die “Deutungsmafia”, um nachmal so ein altes Wort zu gebrauchen, obsolet gemacht.

Ich würde so weit gehen wollen zu sagen, dass es heute nicht mehr möglich ist, weder gezielt auf “Impact” zu bloggen noch Meinungsführerschaft zu erreichen, von Deutungshoheit ganz zu schweigen. Relativ kann man zu den meisten Einlassungen von Bloggern immer sagen: “Who cares?” es wird immer nur eine verschwindend kleine Minderheit wahrnehmen (wie auch diesen text hier). Aus einer durch Egomanen geprägten Clique ist eine vielschichtige, flexible Gesellschaft geworden, deren Vereinnahmung an ihrer Grösse scheitern muss.

Das ist gross genug. Alle weiteren Wachstumsschritte werden viele weitere, spannende, langweilige, gute, schnell augegebene Blogs bringen, einen Zuwachs an Meinungen und Blickwinkeln, aber die Qualität der Struktur an sich wird sich m. E. nicht mehr ändern.