Martin Brust hat mich per eMail gestern über seine etwas ältere Renzension von “BLOGS!” in dem Online-Magazin “liga 6000“, herausgegeben vom “Verein zur Förderung elektronischer Kultur und Kommunikation” zu Frankfurt a/M, informiert.

Ich erlaube mir mal den Deep Link zur Rezension selber, da die vom Magazin erwünschte Link-Form nicht mit PopUp-Blockern funktioniert: “Funktion folgt Form“.

Es gab mal bei Hallervorden einen gespielten Witz, in der sich in der Kneipe zwei Männer Zahlen zurufen um nach jeder Zahl in irres Lachen auszubrechen. Kommt ein dritter hinzu, schaut rätselnd und fragt dann den Kneipier was die beiden denn da machen würden? Sagt der Wirt: “Sie erzählen sich Witze. Damit sie Zeit sparen, haben sie die Witze durchnummeriert und rufen sich nur noch die Nummern zu.”

Genau so verhält es sich, wenn Internet-Connaisseure über das Buch meinen: “eine Linkliste mit den ausgewählten Einträgen hätte ausgereicht”.

Sie hätten vielleicht für diejenigen ausgereicht, die tagein, tagaus mit Browser umgehen. Aber beispielsweise jener Lokalpolitiker der sich bei mir während einer Beamer-Präsentation einer Website darüber beschwerte, dass bei “meinem Webdesign” die Fensterleisten-Knöpfe links und nicht wie “normal üblich” rechts wären, für den also schon die Unterschiede zwischen Mac und Windows jenseits allem Erklärbaren sind, hätte eine zweiseitige Linkliste kaum goutiert, noch hätten sie ihm “Blogs” wirklich nähergebracht.

Hintergedanke der Buchgestaltung und der Hereinnahme der Einträge ist der Anspruch gewesen, auch nicht-internet-firme Menschen zum Lesen zu bekommen. Die Hemmschwelle “Internet” sollte genommen werden, verdeutlicht, dass das was da draussen ist, vielfältig, lesenswert und technisch einfach zu erstellen ist.

Eine bloße Linkliste ist daher, so merkwürdig sich das angesichts des Sujets anhört, nicht zielgruppengerecht und hätte das Thema verfehlt. Blogger brauchen wir nicht vom Bloggen zu überzeugen.

Der zweite große Kritikansatz in der Rezension ist die Frage nach “Blogs = Journalismus” bzw. eben nicht, auch immer wieder gerne vorgebracht und von mir auch bereits bestritten.

1/ tagesaktuelle Einträge wären aufgrund der kurzen Halbwertszeit in Buchform unerträglich gewesen.

2/ Journalismus ist eben nicht nur “Fakten-Huberei” oder “Recherche, Recherche, Recherche, und immer an die Leser denken“, sondern auch Reportage, Glosse und Meinung. Schlag’ nach bei Ruge, Bednarz, Tucholsky, v.Zahn, Cooke etc…

So ganz nebenbei: “Journal(ist)” und “Tagebuch” leiten sich vom selben Wort ab… (“jour” = frz. “Tag”).

In diesem Sinne wird man dann auch im “BLOGS!”-Buch fündig: Andrea Dieners Texte über die Buchmessen-Partys, Siebenviertels Beschreibungen aus Kalifornien, Ligne Claires Texte, Anke Gröners Kino-Kritik etc… Selbst wer seinen Journalismus-Begriff auf “politisches” verengt, sollte noch einmal einen Blick beispielsweise auf Elfengleichs Einträge im Buch werfen, Stichwort Frauenbild, Arbeitsmarkt und Arbeitsagentur.

3/ Wer hautenge Maßstäbe für den Journalismusbegriff anlegt, schließt automatisch auch einen Großteil der heutigen Publizistik aus, die sich eher als Vetrieb von Inhalten verstehen. Man vergleiche den Ausstoß von PR-/Presse-Agenturen mit dem Output der Netzeitung oder SPIEGELonline. Man schnipple aus der SZ und der SZ-Website alle Ãœbernahmen von Nachrichtenagenturen raus…

Die Sache mit den Finanzierungszwängen und den daraus resultierenden Verwertungsnotwendigkeiten hört die Open Source-Community auch sehr häufig, ohne dass nun die OS-Entwickler fluchtartig die Tastatur fallen lassen. Die Feststellung aus der Rezension “weil 4) Musik zu machen einfach vielen Menschen Spaß bereitet – was für stunden- oder tagelanges Recherchieren in der Regel nicht gilt.” gilt nicht zwangsläufig.

Schließlich aus der Rezension:
Wenn Blogs es schaffen würden, die klassischen Medien wirklich komplett aufzumischen, woher würden sie dann ihre Inhalte kopieren?

“Aufmischen” bedeutet nicht “Tod des Journalismus” oder “Tod der Medien”. Sondern: “die Karten werden neu gemischt”. Siehe meinen längeren Eintrag von heute morgen, in der der Guardian sich selbst rühmt, dass durch das offensive und frühe Aufgreifen der neuen Kommunikationsmechanismen im Internet, u.a. Blogs, der Guardian weltweit eine andere Bedeutung bekommen hat, als noch vor fünf Jahren als englische, linksliberale Qualitätszeitung.

Hier die dreitausend Dollar-Frage: wie ist der Guardian zu dieser Bedeutung gekommen? Haben sich Internet-Surfer Briefe geschrieben? Per eMail Bescheid gesagt? Haben sie sich angerufen? SMS verschickt “Schau mal rauf!”?

Der Begriff “kopieren” taucht bei Don, wenn ich es richtig sehe, nicht ein einziges Mal im Artikel auf. Stattdessen ist von “publizieren”, “umformulieren” und “verbreiten” die Rede.

Das Ãœbernehmen von Inhalten und Formulierungen kann nicht per se als gut oder böse hingestellt werden, sondern geschieht in einem Kontext. Im Rahmen dieses Kontext reicht die Palette von “Plagiat”, “Fremdinhalte ausbeuten”, “vergessen Quelle anzugeben” über “umformulieren”, “Grundlage für eigene Ãœberlegungen” bis hin zum “Zitat”. Faktoren die bei der Beurteilung eine Rolle spielen können, sind z.B. die Form der Weiterverwendung (kommerziell? vor einem Karren gespannt werden?). Das ist zum Teil justiziabel und zum Teil eine Frage des persönlichen Geschmacks.

Ein Fehler der in der Diskussion “Blogs vs. Journalismus” und an Dons Text immer wieder gemacht wird, ist der Vergleich einzelner Blogs mit dem Maßstab “journalistisch”.

Journalismus wird nur für die wenigsten Blogs die “raison d’être” sein. Blogs funktionieren aber auch als journalistisches Medium, indem sie Messages, Nachrichten, Informationen transportieren. Die Wirkung kann z.B. zu Katastrophenzeiten nicht mehr negiert werden (9/11, Irak-Krieg, Tsunami). In diesem Sinn bricht die Blogosphäre die alten Strukturen der Medien auf. Gewollt und ungewollt.